In der Welt der Bücher ist die Flaschenpost eine schöne, greifende Metapher für das Unverhoffte, Unerwartete und Unbekannte. Eine solche Post ist im Buch- und Verlagswesen eingetroffen: Im neu entdeckten Roman «Der Reisende» reist der Kaufmann Otto Silbermann im November 1938 durch Deutschland. Er verbringt seine Zeit in Bahnhöfen, Bahnrestaurants und vor allem in der Reichsbahn, nachdem ihm die Flucht aus Deutschland nicht geglückt ist. Unter dem Arm versteckt er eine mit Geld gefüllte Tasche, die er den Nazischergen abgenommen hat. Auf seinen Zugsreisen begegnet er Juden, aber auch Nazis und allerhand Gesindel. Erst jetzt wird ihm klar, wie sehr in Deutschland die Atmosphäre – nicht nur für Juden – umgeschlagen hat, und er verspürt immer mehr die Lebenswirklichkeit am eigenen Leibe.
Nach der Flucht seiner Mutter reiste Otto Silbermann ihr nach und schrieb den Roman «Der Reisende» zu Ende – in einer Intensität und Glaubwürdigkeit, die keine Zweifel zulässt.
Ulrich Riklin